Trauriges Mädchen

Hat mein Kind Depressionen?

22.06.22 Zwischen pubertärer Melancholie und Depression zu unterscheiden ist gar nicht so einfach. Unsere Autorin Daphne hat einen Ratgeber für Eltern geschrieben, um die Identifikation von und den Umgang mit Depressionen bei Kindern und Jugendlichen zu unterstützen. #psychischegesundheit #mentalhealth

Die Pubertät ist eine spannende und manchmal verdammt harte Lebensphase. Hat der Körper gerade eben erst begonnen, sich zu verändern, bäumt sich draußen auch schon die Welt vor Ihren Kindern auf. Sie werden vor wichtige Entscheidungen gestellt, obwohl sie noch dabei sind, herauszufinden, wer sie eigentlich überhaupt sind.

Das alles übt einen enormen Druck aus, der ganz schön verunsichern kann. Kein Wunder also, dass sich Jugendliche häufig zurückziehen. Die Flucht ins Internet, bis Ultimo aufbleiben und keinen Bock auf Schule – das sind relativ häufige Begleiterscheinungen des Hormoncocktails, dem sie ausgesetzt sind.

Häufen sich jedoch die Symptome, muss man genauer hinsehen. Es kann ganz schön schwer sein, die feinen Nuancen zwischen dem, was in Rahmen einer natürlichen Entwicklung liegt, und dem, was aus der Reihe tanzt, zu erkennen. Und als sei die Pubertät an sich nicht schon herausfordernd genug, steigt nämlich auch noch das Risiko, an einer Depression zu erkranken.

Etwa 18% der Jugendlichen sind betroffen. Damit gehört die Depression zu den häufigsten psychischen Störungen von Jugendlichen.

Und die wächst sich eben leider nicht einfach so raus. Wird die Krankheit zu spät erkannt, hat sie beträchtlichen Einfluss auf die psychosoziale Entwicklung.

Angesichts dem, dass viele Jugendliche „dicht machen“, fühlen sich Eltern häufig ohnmächtig. Doch nur Mut – wird die Krankheit nämlich frühzeitig behandelt, sind die Erfolgschancen hoch. Wir von KindSpace haben mit unseren Psychotherapeut:innen einen Ratgeber zusammengestellt, mit dem wir Eltern und weiteren Bezugspersonen praktische Tipps an die Hand geben wollen.

1. Ist mein Kind betroffen?

Zwischen pubertärer Melancholie und Depression zu unterscheiden ist gar nicht so einfach. Ein Anruf bei einer anonymen Hotline kann Orientierung geben, ersetzt aber keinen Gang zum:r Kinderärzt:in.

- Sozialer Rückzug. Vernachlässigen sozialer Kontakte, Hobbies werden uninteressant. Ihr Kind ist nicht gesprächig und erzählt wenig.
- Apathie.
Ihr Kind ist abwesend und/oder phasenweise ungewöhnlich hibbelig.
- Pessimismus.
Grübelt das Kind viel? Ist es häufig gelangweilt? Kann es sich noch wirklich freuen?
- Komorbidität.
Anzeichen anderer psychischer Störungen wie soziale Ängste.
- Drogenmissbrauch.
Dazu zählt auch regelmäßiger Alkoholkonsum. Nehmen Sie gerne die Drogenberatung in Anspruch oder suchen Sie für akute Fragen die psychiatrische Institutsambulanz auf.
- Stimmungsschwankungen und Reizbarkeit.
Ausbrüche von unverhältnismäßiger Wut oder Trauer können ein Warnzeichen sein.
- Gedanken an den Tod
und/oder suizidales Verhalten.
- Selbstzweifel.
Betroffene sind überkritisch mit sich selbst und nehmen ständig die Schuld auf sich.
- Vermindertes Konzentrationsvermögen, verkürzte Aufmerksamkeitsspanne.
Beim Elterntag nachhaken. Ist ihr Kind wirklich “faul” oder viel eher apathisch oder sehr hibbelig? Menschen, die unter ADHS leiden, haben ein viel höhere Wahrscheinlichkeit, an einer Depression zu erkranken.
- Gestörtes Essverhalten. Das kann sowohl gesteigerter als auch verminderter Appetit sein. Ein regelmäßiger Blick auf die Waage kann Klarheit schaffen.
- Probleme in der Schule.
Leistungsabfall, Schulschwänzen.
- Psychosomatische Beschwerden.
Häufig Kopf- oder Bauchschmerzen.
- Schlafstörungen.
Entweder sie sind eine Nachteule und kommen morgens nicht mehr raus, oder sie können gar nicht genug schlafen und sind ständig müde.
- Selbstverletzendes Verhalten.
Dies können Schnitte, beispielsweise an den Unterarmen sein.

Zeigen Jugendliche vermehrt Anzeichen für eine Depression, ist Abwarten keine Option mehr, denn das Risiko, dass die Depression später wieder auftritt oder sogar chronisch wird, wird höher, je länger die Krankheit andauert.

2. Was kann ich jetzt tun?

Versuchen Sie nicht, Ihren Alltag von heute auf morgen komplett umzukrempeln. Geben Sie Ihrem Kind und sich selbst Zeit.

- Gesprächsbereitschaft. Lassen Sie Ihr Kind spüren, dass sie da sind und sich interessieren. Dafür ist es ratsam, regelmäßig freie Timeslots anzubieten. Achten Sie darauf, dass Sie einen ruhigen Moment erwischen und nicht gestört werden. Das kann zum Beispiel das Abendessen sein, der Heimweg von der Schule oder vor dem Zubettgehen. Auch, wenn Ihr Kind die ersten Gesprächsangebote nicht sofort annimmt, halten Sie ihm damit die Möglichkeit offen.
- Struktur wahren. Manchmal geht’s drunter und drüber. Ein geregelter Tagesablauf hilft gegen einen chaotischen Kopf.
- Quality-Time fördern. Fördern Sie wertvolle Zeit. Das kann sowohl der Kontakt zu Gleichaltrigen als auch gemeinsame Freizeitaktivitäten sein. Gerade sinnliche Erfahrungen wie Bewegung oder auch nur warme Sonne auf der Haut können helfen, Momente wieder zu genießen.
- Tagebuch führen. Manche Zusammenhänge lassen sich erst über größeren Zeitraum erkennen.Wann zieht sich Ihr Kind zurück? Wann kochen die Emotionen hoch? Für die Diagnose ist die Häufigkeit ein wichtiger Indikator, und Dokumentation ist häufig zuverlässiger als die eigene Einschätzung. Außerdem können begleitende Störungen erkannt werden. Wir empfehlen, auch andere Krankheiten und die Einnahme von Medikamenten im Blick zu halten.
- Entlastung. Leistungsdruck ist das Letzte, was ihr Kind jetzt braucht. Akzeptieren Sie die Krankheit und versuchen Sie, Ihr Kind nicht zu überfordern. Drängen Sie es nicht, gute Noten schreiben zu müssen, sondern würdigen Sie ganz bewusst die kleinen Erfolge.

3. Wie kann ich mit meinem Kind sprechen?

Legen Sie Ihre Hemmungen ab und reden Sie nicht um Themen wie den Tod herum. Mit konkretem Benennen Ihrer Sorgen geben Sie Ihrem Kind die Chance, seine Gefühle zu akzeptieren und zu kommunizieren. Damit verschaffen Sie sich einen Überblick über die Lage und stellen die Weichen für eine Therapie.

- Erkennen Sie seine Gefühle an. Hinterfragen und bagatellisieren Sie nicht. Sollte Ihr Kind jedoch die Welt und sich selbst stark verurteilen und überspitzt und verallgemeinernd dabei sein, müssen Sie Ihre Skepsis nicht verbergen. Sie können hier sanfte Impulse geben und die negativen Glaubenssätze hinterfragen.
- Achten Sie die Privatsphäre. Zeigen Sie Vertrauen und Respekt, damit Ihr Kind weiß, dass es sich Ihnen anvertrauen darf.
- Nicht in die Falle tappen! Sätze wie “Kopf hoch” oder “Reiß’ Dich zusammen!” gehen gar nicht. Sie implizieren, dass Ihr Kind sich aus seiner Situation leicht befreien könnte und geben ihm damit indirekt die Schuld für die aktuelle Lage. Das kann verheerende Auswirkungen auf das ohnehin schon geschwächte Selbstwertgefühl haben. Zudem können solche Kommentare zynisch wirken, und Betroffene fühlen sich schnell unverstanden.

4. Wie bleibe ich selbst stark und gesund?

Sie möchten Ihr Kind natürlich bestmöglich unterstützen. Doch nicht selten übernehmen sich Eltern dabei und stoßen dann irgendwann zwangsläufig an ihre eigenen Grenzen. Lassen Sie es Ihrem Kind und sich selbst zuliebe erst gar nicht so weit kommen!

- Hinterfragen Sie regelmäßig Ihre Erwartungshaltung. Nehmen Sie Ihrem Kind und sich selbst den Druck.
- Zeigen Sie Ihrem Kind, dass es okay ist, Unterstützung anzunehmen. Manchmal ist es besser, als gutes Beispiel voranzugehen, und sich seine Schwächen einzugestehen. Manches sollte man lieber in die erfahrenen Hände einer Therapie geben, als zu versuchen, alleine damit fertig zu werden.
- Jugendliche brauchen Selbstbestimmung. Lassen Sie Ihr Kind so viel wie möglich selbst machen. In diesem Alter sollen sie in ihre Eigenverantwortung wachsen. Auch, wenn es einem schwer fallen kann: Dieser Entwicklung wollen Sie nicht im Weg stehen.
- Nobody’s perfect. Auch Sie nicht. Now say it again.
- Gönnen Sie sich eine Auszeit und schöpfen Sie neue Kraft und Lebensfreude. Wenn Sie nicht stabil sind, wie sollen Sie dann Ihrem Kind Halt geben? Gehen Sie ihm als gutes Beispiel für Selbstfürsorge voran.

Quellen:

Groen, Gunter und Petermann, Franz (2015): Therapie-Tools. Depression im Kindes- und Jugendalter, 1. Aufl., Weinheim: Beltz Verlag, Weinheim und Basel

Weiterführende Links:

Website von KindSpace: www.kindspace.me
Infoportal zur Depression und psychischen Gesundheit bei Kindern und Jugendlichen: www.ich-bin-alles.de