12.02.22 Die Welt der Reichen und Schönen ist nicht selten auch die Welt von kosmetischen Eingriffen und Schönheitsoperationen. Auf Instagram werden die Follower:innen durch Videos und Bilder mitgenommen auf die Reise zu einem neuen „Ich“. Wie die sozialen Medien unser Bild vom eigenen Körper und das Verlangen nach operativer Veränderung und plastischer Schönheit beeinflussen – und ob das Thema Schönheitsoperationen immer noch „nur“ ein Thema der Reichen und Schönen ist, könnt ihr in dem neuen Beitrag unserer Moderator:in Nora lesen.
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Damals als ich noch jünger war und es noch kein Netflix gab, habe ich am Nachmittag das Fernsehprogramm auf der Suche nach Unterhaltung durchstöbert. Auf verschiedenen Sendern gab es immer wieder Klatsch und Tratsch Magazine, die mehr oder weniger interessante Promi-News berichteten oder die Geschichten von Menschen erzählten, die gerne Promis wären. Es gab Beiträge über Frauen, die aussehen wollen wie eine lebendige Barbie. Aschblond gefärbte Haare, auf das Maximum vergrößerte Brüste, Botox im Gesicht bis hin zur Entfernung von Rippen, um dem Idol der Puppe gerecht zu werden. Männer, die aussehen wollen wie lebende Kens und dafür über 60 OPs und Kosten von hunderttausenden Dollar in Kauf nahmen. Früher wirkte das alles auf mich grotesk und viel zu weit weg. Doch heute sind Schönheits-Operationen, um einem Ideal zu entsprechen, keine Seltenheit mehr, sondern fast zur Normalität geworden. Und das sogar unter immer jüngeren Menschen.
Weltweit unterzogen sich im Jahr 2020 fast 25 Millionen Menschen der einen oder anderen Schönheits-Operation, berichtet Statista. Der Spitzenreiter unter den Schönheitsoperationen, so Statista, ist weltweit mit 1,62 Millionen Eingriffe, die Brustvergrößerung. Dieser Trend zeichnet sich auch in Deutschland ab. Die Vereinigung der deutschen ästhetisch-plastischen Chirurgie (VDÄPC) zeigt in ihrer Behandlungsstatistik, dass allein in Deutschland mehr als 60.000 Schönheitsoperationen im Jahr durchgeführt wurden. Dies bedeutet einen Anstieg von fast 2% im Vergleich zum Vorjahr. Die VDÄPC berichtet in einer Pressemitteilung, dass im Pandemiejahr 2021 74,08% der Schönheitsoperationen Eingriffe im Gesicht waren. Diese Zahlen werden dabei von dem Präsidenten der VDÄPC auf die vermehrte Nutzung von Videokonferenzen, Smartphones und sozialen Medien zurückgeführt. Jugendliche und junge Erwachsene orientieren sich immer mehr an Idealen von medialer Schönheit und erhoffen sich durch eine Schönheitsoperation dieser Vorstellung näher zu kommen.
Das Verlangen danach, sich einer Schönheitsoperation oder kosmetischen Eingriffen zu unterziehen, wird durch die Omnipräsenz von scheinbar perfekten Influencer:innen und Stars verstärkt. Das Betrachten von schönen Berühmtheiten im Internet kann insbesondere bei jungen Frauen zu Unsicherheiten mit dem eigenen Körper und einer schlechteren Stimmung beitragen (Brown & Tiggemann, 2016).
Um in den sozialen Medien gut anzukommen, ist das äußere Erscheinungsbild oft entscheidend. Auf Instagram kommunizieren wir hauptsächlich über Bilder und kurze Videos, wobei die Attraktivität maßgeblich bestimmen kann, ob wir viele Likes und Kommentare bekommen oder nicht. Der Wunsch nach positiver Aufmerksamkeit durch andere, nach vielen Likes und Reichweite, führt bei immer jüngeren bereits zu dem Drang nach körperlicher Veränderung. Die Haare werden gefärbt, es wird Make-Up aufgetragen und der Style wird den aktuell auf Social Media vorherrschenden Trends angepasst.
Doch was passiert, wenn all das nicht mehr reicht? Was passiert mit uns, wenn von 100 guten Kommentaren, ein User uns sagt, dass er unsere Nase zu groß, unsere Brüste zu klein, unseren Körper zu unförmig findet?
Die Unzufriedenheit mit dem eigenen Körper, ein niedriges Selbstwertgefühl oder auch Erlebnisse wie Mobbing oder Beleidigungen können in jungen Menschen schnell den Wunsch wecken, ihren Körper durch kosmetische Eingriffe oder plastische Chirurgie verändern zu wollen (Furnham & Levitas, 2012; Sharp, 2018; Walker, Krumhuber, Dayan & Furnham, 2019). Die sozialen Medien und die Schönheitsideale im Netz stehen dabei in Zusammenhang mit all diesen Faktoren.
Die Schönheitsideale und Standards, die in den sozialen Medien verbreitet werden, tragen dazu bei, dass wir uns im eigenen Körper immer unwohler fühlen (Brown & Tiggemann, 2016). Tagtäglich sind wir konfrontiert mit überdurchschnittlich schönen Menschen oder nachträglich bearbeiteten Bildern, die den Eindruck von Perfektion erwecken.
Die sozialen Medien liefern uns auch praktische Anleitungen für Schönheits-Operationen. Influencer:innen werben für kosmetische Eingriffe wie Gesichtslifiting, Faltenunterspritzung oder Botoxbehandlungen. Stars zeigen sich stolz mit frisch gemachten Brüsten. Es werden Vorher-Nachher-Bilder gepostet. Die Schönheits-Operationen werden live als Story gefilmt, damit jede und jeder hautnah mitverfolgen können, wie die Haut durch Botox gestrafft wird. Es stellt sich heraus, dass bereits, wenn wir Bilder von Menschen sehen, die sich mit kosmetischen Eingriffen „verschönert“ haben, in uns ein Verlangen nach einer Schönheitsoperation verstärken kann (Walker, Krumhuber, Dayan & Furnham, 2019). Der Effekt, den die sozialen Medien auf den Wunsch nach kosmetischen Eingriffen haben ist dabei sogar größer als der Effekt unserer Unzufriedenheit mit unserem Körper (Walker, Krumhuber, Dayan & Furnham, 2019).
Wozu das alles? Das war immer die Frage, die ich mir gestellt habe, wenn ich gesehen habe, wofür sich viele unters Messer legen. Ich bin auch mit vielem unzufrieden und habe oft überlegt, wie ich wohl aussehen würde, wenn ich das ein oder andere operativ verändern würde. Wäre ich dann schöner? Wäre ich erfolgreicher? Wäre ich mehr wert? Und viel wichtiger: wäre ich noch ich?
Am Ende ist mir eine Sache aufgefallen, die mich nicht mehr losgelassen hat. Bei all den Selbstzweifeln und Unsicherheiten, die ich und wir alle von Zeit zu Zeit und manchmal auch die ganze Zeit verspüren. Bei all den Modelmaßen und wunderschönen Gesichtern, von denen wir umgeben sind: ich fand bisher, dass die „Vorher“-Bilder immer schöner waren als die „Nachher“-Bilder.
Literatur
Brown, S. & Tiggemann, M. (2016). Attractive celebrity and peer images on Instagram: Effect on women's mood and body image. Body Image, 19, 37-43. https://doi.org/10.1016/j.bodyim.2016.08.007
Furnham, A., & Levitas, J. (2012). Factors that motivate people to undergo cosmetic surgery. Canadian Journal of Plastic Surgery, 20(4), 47-50. https://doi.org/10.1177/229255031202000406
Radtke, Rainer (2021a). Anzahl von Schönheitsoperationen weltweit bis 2020. Abgerufen am 08.02.2022 unter: https://de.statista.com/statistik/daten/studie/702578/umfrage/laender-mit-der-hoechsten-anzahl-an-schoenheitsoperationen/
Radtke, Rainer (2021b). Häufigste Schönheitsoperationen weltweit nach Art des Eingriffs 2020. Abgerufen am 08.02.2022 unter: https://de.statista.com/statistik/daten/studie/244676/umfrage/haeufigste-schoenheitsoperationen-weltweit-nach-art-des-eingriffs/
Sharp, A. C. (2018). The Relationship Between Body Dissatisfaction and Cosmetic Enhancement Surgery (Doctoral dissertation). Walden Dissertations and Doctoral Studies Collection.
Walker, C.E., Krumhuber, E.G., Dayan, S. et al. Effects of social media use on desire for cosmetic surgery among young women. Curr Psychol 40, 3355–3364 (2021). https://doi.org/10.1007/s12144-019-00282-1
Vereinigung der deustchen ästhetisch-plastischen Chirurgie (2021). Behandlungsstatistik 2021: Fokus Gesichtsästhetik. Abgerufen am 08.02.2022 unter: https://vdaepc.de/wp-content/uploads/2021/06/220621_VDÄPC_Behandlungsstatistik_Gesicht_2021.pdf